Eine arbeitssoziologische Reflektion
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Image Credit: Sisyphus (1548–1549) by Titian, Prado Museum, Madrid, Spain
Entwürfe zu “Bullshit Jobs” (Graeber 2018) vom Explorathon des Lehrstuhls für Soziologie (Technik - Arbeit - Gesellschaft) an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) im September 2018.
Entwurf
Graeber (2018) definiert “Bullshit Jobs” als subjektives Konzept, also ausgehend von der Selbsteinschätzung der sozialen Nützlichkeit der eigenen Arbeit. Dies geht soweit, dass die Existenz dieser Tätigkeit moralisch abgelehnt wird. Aus dieser Perspektive kann das Phänomen Bullshit Jobs auch als Moralkritik unserer Wirtschaftsweise verstanden werden. Bullshit Jobs gelten dann nicht als a posteriori positiver Befund über die Verbreitung von vermeintlich “unnützer” oder “schädlicher” Arbeit, sondern — wohlwollend gelesen — ein axiomatischer Geltungsanspruch zu guter Arbeit. Gute Arbeit wäre dann als anderen Menschen dienlich empfundene Arbeit.
Graeber reißt die Widersprüche dieser Definition — subjektiv anderen nützliche Arbeit — an, kann sie aber nicht stringent auflösen. Zwischen den gleichermaßen tautologischen Definitionen der Neoklassik einerseits (Nutzen als Zahlungsbereitschaft) und des Marxismus andererseits (Gebrauchswert als situativ und qualitativ), kommt Graebers hemdsärmliche Operationalisierung aber als erfrischend pragmatischer Versuch daher.
Wenn die Kritik der Bullshit Jobs Menschen treffend erscheint, um über ihre und die Arbeit anderer zu reflektieren und eine moralische Unterscheidung zu treffen, dann kann sie möglicherwiese auch im Sinne eines “ökologischen” (engl. “ecological”) Pragmatismus gelten (vgl. Peirce 1903). In James’ prägnanter Formulierung haben Bullshit Jobs den “Barwert ihrer Wahrheit” (1907: 200) eingelöst, wenn sie Menschen befähigen, alternative und gangbare wirtschaftliche Arrangements einzufordern. Bullshit Jobs — erneut wohlwollend gelesen — könnten dann als charakteristisch kontingente, vorläufige und erstrebende Forderungen eines amerikanischen Pragmatismus verstanden werden (vgl. Dewey 1916). Im Unterschied zum Marxismus sind Bullshit Jobs nicht “entfremdend” (Marx 1867). Das Konzept widerspricht einem konstanten menschlichen Gattungswesen (vgl. Haug, n.d.) und lehnt die Vorstellung eines überdauernden menschengerechten Arrangement von Arbeit ab. Stattdessen werden Bullshit Jobs vor dem Hintergrund konkreter, gegenwärtiger technologischer und organisationeller Innovation als unnütz erkannt. Ebenso sind Bullshit Jobs nicht schlicht eine (mutmaßlich durch staatliche Verzerrung verursachte) Abweichung von kompetitiven Märkten, oder definitorische Unmöglichkeiten (da nicht Pareto-verbessernd) einer katallaktischen Ordnung (Hayek 1960), wie aus neoklassischer oder libertärer Sicht argumentiert werden könnte. Sie bleiben trotz und unabhängig von ihrer gegenwärtigen ökonomischen Rationalität irrsinnig, da es gleichzeitig subjektiv nützlichere Tätigkeiten gibt, und das Preissystem damit offenkundig nicht seiner vermittelnden Aufgabe nachkommt.
Hier zeigt sich eine weitere mögliche pragmatische Qualität der Bullshit Jobs Kritik: Graeber kritisiert existierende Jobs in Hinblick auf konkrete Technologien und Organisation die selbige ersetzen könnten, und im Vergleich zu anderer, existierender, nützlicherer Arbeit, von der mehr zu erledigen wäre, oder höher geschätzt und entlohnt werden wollen. Pragmatisch gelesen steht Graebers Kritik damit entgegen etablierten Konzepten zur guten Gestaltung von Arbeitsbedingungen, und stellt auf den subjektiv erfahrene Inhalt eines Jobs ab. Überrasschenderweise ähnelt Graeber damit unter anderem der Moraltheorie — nicht der Ökonomie — von Smith (1822).
Boe, Bryce. 2016. Python Reddit API Wrapper (PRAW).
Dewey, John. 1916. Democracy and Education. New York, NY: Macmillan.
Graeber, David. 2018. Bullshit Jobs: A Theory. London: Allen Lane.
Haug, Frigga. n.d. “Doppelcharakter Der Arbeit.” Historisch-Kritisches Wörterbuch Des Marxismus. Berlin, Germany.
Hayek, Friedrich A. von. 1960. The Constitution of Liberty – The Definitive Edition. Chicago: University Of Chicago Press.
James, William. 1907. “Pragmatism, a New Name for Some Old Ways of Thinking, Popular Lectures.”
Marx, Karl. 1867. Capital: Critique of Political Economy. Vol. 1.
Peirce, Charles Sanders. 1903. Lectures on Pragmatism. Cambridge, MA.
Schmid, Helmut. 1995. “Treetagger| a Language Independent Part-of-Speech Tagger.” Institut Für Maschinelle Sprachverarbeitung, Universität Stuttgart 43: 28.
Silge, David Robinson, Julia. n.d. Text Mining with R.
Smith, Adam. 1822. The Theory of Moral Sentiments. Vol. 1. J. Richardson.
Upchurch, Tom. 2018. “Forget Fears of Automation, Your Job Is Probably Bullshit Anyway.” Wired UK, May.
Eine umfassendere, programmatische Ersetzung von weiteren Synonymen wäre sinnvoll, ist hier jedoch nicht erfolgt.↩